KURZbeschreibung
Kreativität beginnt schon in der Wiege
Menschliche Kreativität kennt keine Grenzen: Sie hat uns zum Mond gebracht und ermöglicht es uns, tödliche Krankheiten zu heilen. Was ist der Ursprung dieser Produktivität des menschlichen Geistes? Sind solche Kernfähigkeiten bereits in der frühen Entwicklung vorhanden? Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin: Wissenschaftler der CEU haben herausgefunden, dass Babys Konzepte kreativ kombinieren können, noch bevor sie sprechen können. Diese bahnbrechenden Ergebnisse wurden soeben in einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt veröffentlicht.

Wenn wir Kindern Geschichten über siebenköpfige Drachen, Frösche, die sich in Prinzen verwandeln, oder riesige Bäume, die Leitern zum Himmel sind, erzählen, erweckt ihre Vorstellungskraft die Fiktion zum Leben. Obwohl sie noch nie zuvor magische Kreaturen oder Verwandlungen gesehen haben, ist es für sie kein schwieriges Unterfangen, solchen Geschichten zu folgen, ganz im Gegenteil: Es ist eine Quelle der Freude und des Staunens. Mit anderen Worten, wenn Kinder auf neue Kombinationen von bereits bekannten Konzepten stoßen, können sie die einzelnen Elemente leicht integrieren und sich die neue Einheit vorstellen, die sie bilden. Diese Fähigkeit eröffnet ihnen endlose Möglichkeiten, neuartige Konzeptkombinationen zu erfinden: Sie ist die Grundlage für die beispiellosen Leistungen des Menschen.

Trotz ihrer Bedeutung wissen wir noch nicht, wann und wie diese beeindruckendeFähigkeit des Kombinierens entsteht. Neue Forschungen der Kognitionswissenschaftler:innen Barbara Pomiechowska, Ágnes Melinda Kovács, Gábor Bródy und Ernő Téglás zeigen, dass wir zum Beginn des Spracherwerbs zurückgehen müssen, um dieses Rätsel zu lösen: Ihre Ergebnisse zeigen, dass einjährige Säuglinge bereits Ausdrücke verstehen, die bekannte Konzepte mit neuen, während der Studie erworbenen Konzepten kombinieren.

Die an der Central European University durchgeführte Studie hatte also zum Ziel, die kombinatorischen Fähigkeiten von Säuglingen zu untersuchen. Dafür mussten sie ein paar einfache Videos ansehen. Ihre erste Aufgabe bestand darin, zwei neue Bezeichnungen für „eins“ und „zwei“ zu lernen. Die Forscher halfen ihnen dabei, indem sie ihnen vertraute Gegenstände wie Autos oder Bälle in Einer- oder Zweiermengen zeigten. Die Babys sahen eine Hand, die auf jedes Set zeigte,während eine Stimme sie benannte (z. B. „Schau, Mize Auto!“ für ein Auto und „Schau, Padu Auto!“ für zwei Autos). Schon nach wenigen Präsentationen mit einer Handvoll bekannter Gegenstände entschlüsselten die Babys, was „Mize“ und „Padu“ bedeuten. Wenn ihnen zwei neue Sets von Gegenständen gezeigt wurden, die jeweils aus derselben vertrauten Art bestanden, zum Beispiel Äpfel, schauten sie zuverlässig auf das Set mit einem Gegenstand, wenn sie nach „Mize Apfel“ gefragt wurden, und auf das Set mit zwei Äpfeln, wenn sie den Satz „Padu Apfel“ hörten, obwohl die Hand nicht mehr auf den richtigen Referenten zeigte.

Diese Wortauffassungsaufgabe diente lediglich dazu, dass die Forscher anschließend die Fähigkeit der Säuglinge testen konnten, Konzepte in Echtzeit zu kombinieren, anstatt sich an Kombinationen zu erinnern, die sie bereits aus Erfahrung kennen. Diese beiden Prozesse lassen sich nämlich gar nicht so leicht auseinanderhalten. Wenn wir ein kleines Kind bitten, uns den braunen Bären in einem Bilderbuch zu zeigen, kann es dies auch dann schaffen, wenn es nicht weiß, was „braun“ bedeutet: Indem es diese Wortkombination immer dann hört,wenn es einen braunen Bären sieht, hat es die Phrase möglicherweise als Einheit gelernt. Aber die Babys in dieser Studie haben die Wörter Mize und Padu nur imZusammenhang mit einigen wenigen spezifischen, vertrauten Nomen (wie Auto und Apfel) gehört, und jede andere Kombination wäre für sie völlig neu. Um solche neuartigen Kombinationen zu verstehen, mussten sie ihr Wissen über beide Konzepte heranziehen und sie gemeinsam anwenden – und genau das war die Aufgabein der zweiten Phase der Studie.

Obwohl das Erlernen von zwei neuen abstrakten Wörtern in so kurzer Zeit für Einjährige an sich schon eine beeindruckende Leistung ist, forderte die nächste Aufgabe sie noch weiter heraus. Die Babys mussten eine passende Antwort auf neue, komplexe Sätze wie „Padu Hund“ (was sich auf zwei Hunde bezieht) finden, während ihnen vier verschiedene Optionen präsentiert wurden. Eine davon würde nur zur Kategorie (ein Hund) passen, eine andere nur zur Menge (zwei Enten), was die Säuglinge möglicherweise vom dritten Kandidaten, der richtigen Antwort (zwei Hunde), ablenken könnte. Der vierte Kandidat war ein „gemischtes“ Set (ein Hund gepaart mit einem anderen Gegenstand, z. B. einer Ente). Hätten die Babys die Konzepte von „zwei“ und „Hund“ nicht zusammengeführt, sondern getrennt verarbeitet, dann hätten sie vielleicht gedacht, dass auch diese Gruppe alle Kriterien erfüllt: sie hat ja die Größe von zwei und es ist ein Hund dabei. Die Ergebnisse deuten jedoch auf das Gegenteil hin: Nachdem sie die Frage „Wo ist der Padu-Hund?“ gehört hatten, richteten die Babys ihren Blick auf die Gruppe mit zwei Hunden. Das zeigt uns, dass sie – ähnlich wie Erwachsene - die beiden Konzepte kombiniert haben, anstatt sie als zwei separate Suchkriterien zu behandeln. Sie scheinen verstanden zu haben, dass sich „Padu“ wie „zwei“ verhält und auf eine einheitliche Gruppe von Gegenständen anzuwenden ist, die durch das zweite Wort (also Hunde) spezifiziert wird.

Mit dieser Studie zeigen die Forscher:innen Barbara Pomiechowska, Ágnes Melinda Kovács, Gábor Bródy und Ernő Téglás, dass kombinatorisches Denken bereits im Alter von einem Jahr vorhanden ist. Dadurch eröffnet sich die Welt den Babys über ihre bisherigen Erfahrungen hinaus. Im Säuglingsalter erleichtert das Kombinieren von Konzepten höchstwahrscheinlich das Lernen von anderen als auch die Kommunikation mit ihnen. Später im Leben ermöglicht es uns jedoch, über alles bereits Gedachte hinauszudenken und aus der reichhaltigen Fülle des menschlichen Geistes zu schöpfen.

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