KURZbeschreibung
Was Pupillen über kindliche Denkprozesse verraten
Ungewissheit ist ein ganz natürlicher Bestandteil unseres täglichen Lebens: wir können Gegenwärtiges immer nur teilweise erfassen und Zukünftiges nur bedingt vorhersagen. Der Umgang mit dieser Ungewissheit besteht darin, dass wir verschiedene mögliche Szenarien geistig durchspielen, vergleichen und dann Entscheidungen treffen. Doch ab welchem Alter setzt diese Fähigkeit eigentlich ein?

Nehmen wir ein Beispiel aus dem kindlichen Alltag: beim Versteckspiel kommt es darauf an, das beste Versteck von vielen möglichen Verstecken zu wählen. Aber nicht nur. Je besser Kinder die wahrscheinlichste Suchstrategie ihres Mitspielers vorhersagen können, desto besser können sie unerwartete Verstecke als solche identifizieren und das Versteckspiel mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen. Und das können sie nur aufgrund der Fähigkeit, mögliche Szenarien geistig durchspielen zu können. Wie früh ist diese Fähigkeit bereits vorhanden?

Mehrere Studien – darunter auch einige, die am Zentrum für kognitive Entwicklung der Central European University durchgeführt wurden – deuten darauf hin, dass sogar 12 Monate alte Babys mehrere Möglichkeiten gleichzeitig abbilden können: wenn man ihnen zum Beispiel zeigt, dass eine von zwei sich gegenseitig ausschließenden Möglichkeiten entfernt wird, erwarten sie, dass die zweite Alternative, die übrig bleibt, wahr ist. (Mehr dazu finden sie in unserer Kurzübersicht von Studien in dem Beitrag „Babylogik“.) Überraschenderweise können ältere Kinder im Alter von 2 Jahren jedoch auffällige „Fehler“ machen, wenn sie mit Ungewissheit konfrontiert sind. In einer Studie von Redshaw & Suddendorf (2016) hat man 4-Jährigen und 2-Jährigen folgendes Szenario vorgestellt: ein Ball wurde in eine vertikal ausgerichtete Röhre mit einer Rohrgabelung und folglich zwei Ausgängen gegeben. Der Ball würde also durch einer dieser zwei Ausgänge wieder aus der Röhre rollen, und die Kinder wurden gebeten diesen Ball aufzufangen. Während 4 Jahre alte Kinder sich für beide Möglichkeiten vorbereiteten, indem sie jeweils eine Hand bei beiden Ausgängen platzierten, hielten 2 Jahre alte Kinder hingegen nur eine Hand zu einem der beiden Ausgänge. Diese Ergebnisse wurden bislang damit begründet, dass 2 Jahre alte Kinder noch nicht fähig sind, mehrere mögliche zukünftige Ereignisse gleichzeitig in Betracht zu ziehen. Allerdings könnte es durchaus sein, dass sie zwar sehr wohl intuitiv verstehen, dass mehrere mögliche Ereignisse eintreten können, jedoch noch nicht in der Lage sind, Handlungspläne zu generieren, die jedes dieser möglichen Ereignisse miteinschließt.

Diese Studien mit ihren scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen haben eines gemeinsam: die Kinder sollten nicht nur verschiedene Möglichkeiten mental abbilden, sondern sie auch in die darauffolgenden mentalen Prozesse integrieren, indem sie beispielsweise Inferenzen machen oder Entscheidungen treffen mussten. Um diese kognitiven Prozesse, vor allem den ersteren, gesondert erforschen zu können, entwickelten die Wissenschaftler Nicolò Cesana-Arlotti und Ernő Téglás (Central European University) eine neue Herangehensweise. Von Interesse waren also die mentalen Abbildungen von Babys, die verschiedene mögliche Szenarien zum Inhalt haben, jedoch keine Entscheidungen oder das Planen von Handlungen erfordern. Um diese nachweisen zu können, zogen die Wissenschaftler die Messung der Pupillenweitung heran. Diese Methode besagt, dass bei mentaler Anstrengung, wie zum Beispiel dem Ausführen von komplexen Kopfrechnungen oder dem Merken einer immer größer werdenden Menge an Objekten, die Pupillen sich weiten. Folglich nahmen sie an, dass die Pupillenweitung größer sein würde, wenn Kinder mehrere Möglichkeiten gleichzeitig mental abbilden, als wenn sie nur eine Möglichkeit in Betracht ziehen.

In deren Studie präsentierten sie Babys im Alter von 10 und 14 Monaten einfache Videos, in welchen drei Objekte gezeigt wurden: ein Ball, ein Elefant und eine Puppe. Alle drei Objekte hatten eine Gemeinsamkeit: der obere Teil jedes Objekts bestand aus einem roten Halbkreis, sodass, wenn der untere Teil abgedeckt wurde, es nicht möglich war, diese voneinander zu unterscheiden. Ein Objekt befand sich jeweils auf der einen Seite des Bildschirms, während die anderen zwei sich auf der anderen Seite des Bildschirms befanden. Jedes Objekt machte außerdem eigene Laute, um seine Position auf dem Bildschirm deutlich zu signalisieren und die Babys daran zu erinnern, dass beispielsweise der Elefant sich auf der linken Seite befand und die Puppe und der Ball auf der rechten Seite. Dann wurden alle Objekte teilweise verdeckt, und eines der Objekte bewegte sich zur Mitte des Bildschirms. Die Babys konnten nur den roten Halbkreis sehen, welcher nicht ausreichend Informationen lieferte, um die Figur eindeutig identifizieren zu können. Wenn die Figur allerdings von der linkenSeite kam, dann konnten sie sicher sein, dass es der Elefant war. Wenn die Figur jedoch von der rechten Seite kam, konnte es entweder der Ball oder die Puppe sein. Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass der letztere Fall, in welchem die Babys beide Möglichkeiten mental abbilden – den Ball und die Puppe – kognitiv herausfordernder ist, als wenn lediglich eine einzig richtige Möglichkeit in Betracht gezogen werden kann (in diesem Fall der Elefant, der von der linkenSeite kam). Diese geistige Anstrengung zeigt sich in einer stärkeren Pupillenweitung, welche bei 14 Monate alten Babys deutlich vorhanden ist, bei 10 Monate alten Babys hingegen nicht.

 

Diese Studie zeigt nicht nur auf, dass Babys bereits zu Beginn des zweiten Lebensjahrs, noch bevor sie lernen zu sprechen, mehrere mögliche Optionen gleichzeitig mental abbilden können – sie beweist auch, dass Pupillometrie eine geeignete Methode darstellt, um die kognitiven Prozesse von Babys und Kleinkindern zu erforschen.  

 

Cesana-Arlotti N, Varga B, Téglás E. 2022 The pupillometry of the possible: an investigation of infants’ representation of alternative possibilities. Phil. Trans. R. Soc. B 377: 20210343. https://doi.org/10.1098/rstb.2021.0343

Quellen: Redshaw J, Suddendorf T. 2016 Children’s and apes’ preparatory responses to two mutually exclusive possibilities. Curr. Biol. 26,1758–1762. (doi:10. 1016/j.cub.2016.04.062)

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